Habilitantin:
Thekla Musäus
Arbeitsbereich:
Fennistische Literaturwissenschaft
Gewalt und Empathie in der finnischen Gegenwartsliteratur
Abstract:
In der finnischen Gegenwartsliteratur wird der Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalterfahrung spätenstens mit dem Antritt der zweiten schriftstellerischen Nachkriegsgeneration aufs Neue zu einem der Kernthemen, das auf literarisch vielfältige Weise be- und verarbeitet wird. Texte aus diesem Themenkreis sind oft ausgesprochen populär, sie erhalten Literaturpreise, werden verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Historische Gegenwartsromane etablierter Autoren, vor allem aber auch Werke von Autorinnen wie Puhdistus von Sofi Oksanen, Kätilö von Katja Kettu oder Everstinna von Rosa Liksom konstituieren Handlungsstrukturen, in denen Kriegserfahrungen, Gewalt gegen Frauen, Verratsmotive und Traumata oft in paradox scheinender Verstrickung mit Liebe, sexuellem Begehren und Empathie stehen.
Auffällig ist bei der Sichtung der finnischen Gegenwartsliteratur zur finnischen und gesamteuropäischen jüngeren Vergangenheit, dass der Schwerpunkt dabei auf einer emotional möglichst unmittelbaren und drastischen Themenvermittlung liegt. Kennzeichnende Gestaltungsmittel sind beispielsweise eine bewusst grobe, dialektale oder umgangssprachlichen Erzählsprache, die Wiedergabe der Handlung in intim wirkender Tagebuch- oder Briefform oder mittels dokumentarrealistischer Montagetechniken. Doch auch fantastische Elemente und die Nutzung von magisch-realistischer Symbolik finden sich immer wieder in den Romanen, die Krieg und Gewalt ins Zentrum ihrer Handlung rücken.
Im Zentrum meines Habilitationsprojekts steht die Kartierung der literarischen Bandbreite und der ästhetischen wie ethischen Implikationen bei der Darstellung von Gewalt in der finnischen Gegenwartsliteratur, ihre Einordnung in literarische Traditionen der in Finnland wirkmächtigen Kriegsliteratur und in feministische, genderkritische und queere Literaturtraditionen. Einbezogen werden theoretische Ansätze der Traumaverarbeitung, des Geschichtsbezugs der Second und Third Generation sowie philosophische und sozialwissenschaftliche Ansätze zum gesellschaftlichen Umgang mit und der Ausdeutung von Gewalt.
Promovendin:
Thekla Musäus
Arbeitsbereich:
Literaturwissenschaft, finnische und russische Literaturgeschichte
Betreuer:
Prof. Dr. Marko Pantermöller
Das Karelienbild in der finnischen und sowjetischen Literatur 1930-1957
Abstract:
Die Erkenntnis, dass der Ort literarischer Handlung nicht nur Kulisse für die zeitliche Abfolge von Geschehnissen, sondern konstituierend für die literarische Gesamtaussage eines Werkes und eng verflochten mit seinen zeitlichen Aspekten ist, ist bereits mit der Veröffentlichung von Bachtins Thesen über den Chronotopos ins literaturwissenschaftliche Bewusstsein gerückt. Spätestens seit dem „Spatial turn“ in den Kulturwissenschaften der 1990er Jahren ist in den Literaturwissenschaften der Frage nach der Relevanz des literarisch dargestellten Raumes im inhaltlichen, strukturellen und literaturhistorischen Gesamtgefüge eines Werkes verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt worden.
Als ein spezieller „Erinnerungsort“ nach Pierre Nora ist Karelien als historisches und kulturelles Grenzgebiet in der finnischsprachigen und der russischen Literatur seit der Epoche der Romantik zu einem symbolisch aufgeladenen Raum geworden. Insbesondere der Frage nach dem Fortwirken und den Brüchen zwischen literarischen Epochen und dem möglichen kulturellen Einfluss über die ideologische Grenze zwischen dem kapitalistisch-westlichen Finnland und der kommunistischen Sowjetunion hinweg soll bei der Analyse dieses Phänomens Aufmerksamkeit geschenkt werden. Unter der Berücksichtung des kultursemiotischen Modells der „Semiosphäre“ nach Jurij Lotman und der Hinzunahme postkolonialer Forschungsansätze wie des Hybriditätskonzepts Homi K. Bhabhas steht der literarische Raum in der sowjetischen und finnischen Belletristik mit karelischer Thematik des Zeitraums 1930 bis 1950, aus der ideologischen Konfrontationszeit vor und nach dem zweiten Weltkrieg bis zur sowjetischen „Tauwetterperiode“ im Untersuchungszentrum.