Habilitandin:
Laura Zieseler

Arbeitsbereich:
Skandinavistische Sprachwissenschaft

Kurzwörter in den skandinavischen Sprachen

Abstract:

Obschon morphologische Kürzungsprozesse gerade im Zeitalter der Digitalisierung zunehmend an Produktivität gewinnen, war die Kurzwortbildung in den skandinavischen Sprachen mit Ausnahme von Nübling/Duke (2007) und Lux (2017) bisher kaum Gegenstand umfassender, systematischer Untersuchungen. Zum Westnordischen (Färöisch, Isländisch, Nynorsk) fehlt es bisher gar gänzlich an Grundlagenforschung.

Dieses marginale Interesse scheint v.a. auf drei Faktoren zu beruhen, von denen zwei inner- und einer außersprachlicher Natur sind: Zum einen erschwert die auf den ersten Blick große Heterogenität morphologischer Kürzungsprodukte eine einheitliche, stringente Erfassung und Analyse. Zum zweiten ist subtraktive Wort(form)bildung im Gegensatz zur additiven (Komposition, Derivation) aus natürlichkeitstheoretischer Sicht markiert, da ihre Konstrukte sich aufgrund der Reduktion ihrer semantischen Transparenz als kontraikonisch betrachten lassen (Wurzel 2001). Zum dritten gelten Kurzwörter im Allgemeinen als stilistisch und sozial markiert, da sie oftmals entweder fachsprachlichen Registern (hier insb. technische oder institutionelle Termini in Form von Akronymen wie schwed. TFY und SIFO) oder aber der informellen Umgangssprache (= konzeptioneller Mündlichkeit) zugerechnet werden. Insbesondere die unspezifische gruppensprachliche Markiertheit als "jugendsprachlich" oder noch allgemeiner "Slang" hat dazu geführt, dass Kurzwörter meist nur als sprachliches Kuriosum die Aufmerksamkeit eher populärwissenschaftlich orientierter Lexikographie erregten. In den stärker puristisch geprägten offiziellen Sprachkulturen des Inselnordischen wird mit dieser sprachlichen Standardferne eher distanziert umgegangen, während das normative Selbstverständnis der festlandskandinavischen Sprachen auch offiziell mehr als nur periphere Produktivität subtraktiver Prozesse sichtbar macht.

Ziel meines Habilitationsprojekts ist es, diesen drei Problematiken Rechnung zu tragen: Unter gesamtskandinavischer Perspektive sollen verschiedenste subtraktive Wortbildungsprozesse und -produkte analysiert und kategorisiert werden, um neben einer Bestandsaufnahme auch einen Beitrag zur Theoriebildung zu leisten (Merkmalssemantik, Prototypizität bzw. Markiertheit, phonologische und orthographische Aspekte, grammatische Merkmale wie Genuszuweisung, Pluralbildung). Dafür soll eine einheitliche Terminologie entwickelt werden, welche die Besonderheiten und Unterschiede der skandinavischen Sprachen einbezieht. Die mit diesem Ansatz gewonnenen Erkenntnisse werden auch jenseits der reinen Kurzwortforschung von universalistischem Interesse sein.

Zu diesem Zweck wird eine ganzheitliche Methode eingesetzt, die neben Korporauntersuchungen ebenso Befragungen von Muttersprachlern umfasst. Mittels Sprecherurteilen sollen sowohl der innersprachliche (insb. Frequenz, Produktivität, semantische Transparenz) als auch der außersprachliche Status (pragmatischer Stilwert, Gruppenmarkiertheit etc.) der Kurzwörter und Kurzwortbildungsmuster eruiert werden. Neben appellativischen Akronymen (Lautinitial‑, Buchstabier- und Silbenintialwörtern), Kurzwörtern i.e.S. (Kopf- und End- sowie diskontinuierlichen Kurzwörtern wie dän./norw./schwed. bil, fär. úss, norw. Polet, dän. humbas, fär. vinka), Pseudoableitungen wie schwed. stammis, isl. þjóbó, norw. nuggen, seffer'n, Kürzungs- und gebundenen Komposita wie dän./norw. e-post, schwed. ekomjölk sowie elliptischen Kürzungen wie fär. Setur sollen auch subtraktive Prozesse bei Personennamen (dän. Sus, schwed. Agge) berücksichtigt werden.

Literatur:

Lux, Barbara (2017): Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen: Eine kontrastive Untersuchung  phonologischer und grammatischer Aspekte. – Narr Francke Attempto: Tübingen.

Nübling, Damaris/Duke, Janet (2007): Kürze im Wortschatz skandinavischer Sprachen. Kurzwörter im Schwedischen, Dänischen, Norwegischen und Isländischen. – In Jochen A. Bär, Thorsten Roelcke, Anja Steinhauer (eds.): Sprachliche Kürze: Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte, 227–263. Berlin/New York: de Gruyter.

Wurzel, Wolfgang Ullrich (22001): Flexionsmorphologie und Natürlichkeit: Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung. 2. Aufl. – Berlin: Akademie Verlag.