Postdoktorandin
Yvonne Bindrim
Arbeitsbereich:
Fennistische Sprachwissenschaft
Teilprojektleiter:
Prof. Dr. Marko Pantermöller
Soziolinguistische Bewertung von Impactbedingungen nationalistisch operationalisierten sprachlichen Framings auf Gruppen junger Sprecher*innen in Estland und Lettland
Abstract:
Mit seiner Forschungsfrage leistet das Teilprojekt des IFZO-Clusters Neue Nationalismen einen zentralen empirischen Beitrag zur Ermittlung relevanter Interdependenzen zwischen gegenwärtig noch bruchstückhaft wahrgenommenen parzellierten und agglomerierten Transformationsprozessen. Aus der reflektierten Resistenz gegenüber bestimmten dys- bzw. utopischen Framing-Phänomenen in einem bestimmten thematischen Bereich kann eine entwickelte sprachliche Sensibilität des/der Proband*in abgeleitet werden, die auch sein*ihr sprachliches Verhalten in anderen Bereichen beurteilbar macht (reflektiert vs. unreflektiert/nachahmend). Aufgrund der Bedeutung von Framing-Phänomenen für die Akzeptanz oder Ablehnung von Policies und deren Transfer, von Gender- und Diversity-Strategien, von nachhaltiger Entwicklung und Energiewende, spielt dieses Impact Tool zudem eine zentrale Rolle für die empirische Grundlage diskursiver Aspekte in allen Forschungsbereichen des IFZO.
Untersucht wird konkret, welche Effekte der Kernbereich der estnischen und lettischen Integrationspolitik – das Bildungswesen – hinsichtlich der Anfälligkeit der Proband*innen gegenüber (nationalistischem) Framing zeitigt. Hinsichtlich der estnischen und lettischen Integrationspolitik, die insbesondere die großen russischen Minderheiten nach dem Untergang der Sowjetunion betraf, bildet das Bildungswesen den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt. Die Schullaufbahn soll die sprachliche und intellektuelle Assimilation der Herkunftssprecher*in leisten. Bisherige wissenschaftliche Arbeiten bewerten deshalb den Erfolg der jeweiligen Integrationspolitiken an dem „messbaren“ Identitätswandel der Herkunftssprecher*innen, wobei dieser aus quantitativen Erhebungen zu definierten Schlüsselbereichen (Staatsbürgerschaft, Sprachbeherrschung, Bildungswesen und Arbeitsmarkt) abgeleitet wird. Noch nicht in den Blick genommen wurden hingegen die soziolinguistischen Effekte verschiedener Ansätze der Integrationsarbeit, genauer: die Rolle des Schulsystems und die Strukturen des Schulalltags, in denen die Sozialisierung der zukünftigen Staatsbürger vonstattengeht. Estland und Lettland verfolgen im Hinblick auf das Schulsystem und die Strukturen grundsätzlich verschiedenen Ansätze. In beiden Schulsystemen sind zwar auch rein estnisch- bzw. lettisch-sprachige Bildungswege möglich, was nur die Herkunftssprecher*innen zur Mehrsprachigkeit verpflichtet. Die integrativen Konzepte mehrsprachiger Schulen unterscheiden sich jedoch: In Lettland wird in den untersten Klassen relativ gleichberechtigt in Lettisch und Russisch unterrichtet, und erst mit dem Aufstieg in die höheren Klassen wird Unterricht in Russisch zugunsten eines Unterrichts in Lettisch abgebaut. Der Abschluss der Sekundarstufe soll dann fast ausschließlich lettischsprachig erfolgen. In Estland verfährt man in den mehrsprachigen Schulen indes tendenziell umgekehrt. Mittels soziolinguistischer Methoden sollen in definierten Probandengruppen in Estland und Lettland gleichzeitig Informationen zu folgenden Aspekten erhoben werden: sprachliche Sozialisierung (u.a. Erstsprache und Mehrsprachigkeit, sprachliche Bildungsbiographie, domänenbezogene Sprachwahl, Selbstzuordnung zu einer Minderheit), Einstellungen gegenüber den jeweiligen Landessprachen und zur Multilingualität, produktives und rezeptives Verhalten zu Framing-Phänomenen dystopischer und utopischer Narrative (Grundbewusstsein hinsichtlich der Rolle von Framing, Beurteilung und Verankerung ausgewählter Framing-Phänomene) und linguistisches Genderbewusstsein.
Zur soziolinguistischen Bewertung der Impactbedingungen nationalistisch operationalisier-barer Narrativstränge sollen die erhobenen Befunde jeweils thematisch zu Antwortmustern gruppiert werden.
Das Postdoktorand*innenprojekt (Y. Bindrim) untersucht Zusammenhänge zwischen dem Integrationsansatz des sprachlichen Bildungswegs und dem sprachlichen Bewusstsein (rezeptiv, produktiv) für neu-nationalistische Framing-Phänomene sowie potenzielle Interdependenzen zwischen dem Bewusstsein für verschiedene Framing-Phänomene und sozio-demographischen sowie linguistischen Faktoren. Es ist zu überprüfen, ob sich relevante Häufungen bestimmter soziodemographischer Variablen der Proband*innenproben bei den verschiedenen Antwortmustern ausmachen lassen. Eine weitere Analysedimension eröffnet sich ausgehend von der Ebene der Einzelproband*innen. Mit dem Fokus auf Estland verbindet das Postdoktorand*innenprojekt Teilfragen dieses und anderer Teilprojekte. Das Promotionsprojekt (N.N.) fokussiert auf neu-nationalistische Framing-Phänomene bzgl. der Konstruktion der Stellung der russischsprachigen Bevölkerung in Lettland. Den jeweiligen Hauptuntersuchungen gehen Vortests voraus, um in Interviews und einem Test der Fragebögen die Relevanz und Verständlichkeit der Fragen für die jungen Proband*innen sicherzustellen. Die Fragebogenerhebung findet in Gruppen unter Anwesenheit der Untersuchungsleitenden und – soweit möglich – elektronisch statt. Komplementär wird untersucht, ob es länderspezifische Fokussierungen oder eher gemeinbaltische Tradierungen hinsichtlich der Framing-Phänomene in den politischen Diskursen in Estland und Lettland gibt, und wo die bisherigen Schwerpunkte in der Analyse von politischem Sprachgebrauch liegen.
Promovendin:
Yvonne Bindrim
Arbeitsbereich:
Fennistische Sprachwissenschaft
Betreuer:
Prof. Dr. Marko Pantermöller
Arbeitstitel: Sprachpolitische Korrektheit vs. spracheninduziertes Konfliktpotential: Zur Rolle verschiedener Erhebungsmethoden in der Spracheinstellungsforschung: Fallstudie Finnland.
Abstract:
Es ist das Ziel des Dissertationsprojekts zu untersuchen, welcher soziale Status in Finnland den beiden einheimischen Sprachen Finnisch und Schwedisch von den beiden Sprechergruppen beigemessen wird. In Finnland, das häufig als sprachpolitisches Referenzland angeführt wird, sind bereits Untersuchungen zu Fragen der Sprachloyalität und zum sozialen Status der beiden offiziellen Landessprachen durchgeführt worden. Die tiefen sprachpolitischen Spannungen, die sich in jüngster Zeit offenbaren, stehen jedoch tendenziell im Widerspruch zu den Untersuchungsergebnissen. Da bisherige Arbeiten zu diesem Problemkreis es kaum vermochten, das spracheninduzierte Spannungspotential abzubilden, kommt der kritischen Evaluation der bisherigen Forschungs- und Datenlage und der Kartierung des sprachpolitischen Maßnahmenfeldes eine zentrale Bedeutung zu. Der empirische Teil der Dissertation stützt sich auf Daten, die im Rahmen eines größeren parallelen Forschungsprojekts erhoben wurden, in dem erstmals eine indirekte Methode, die den Probanden Rückschlüsse auf den tatsächlichen Untersuchungsgegenstand verwehrt, mit einer direkten Methode kombiniert wurde. Im Rahmen der Dissertation werden durch die daraus resultierenden Aspekte eines erweiterten Methodenverständnisses auch bisherige Forschungsergebnisse, die auf direktem Weg erhoben wurden, neu kontextualisiert. Bisher wurde noch nicht auf indirektem Wege untersucht, wie loyal Sprecher unterschiedlicher Gruppen gegenüber den Sprachen sind, die in ihren Ländern den Alltag prägen. Das Forschungsmaterial wurde mittels der indirekten Matched Guise-Technik (MGT) und der direkten Fragebogenmethode in mehreren Städten Finnlands erhoben und nach relevanten sozialen Faktoren differenziert.