Habilitandin:
Sabine Meyer

Arbeitsbereich:
Neuere Skandinavische Literaturen

Literarische Obsessionen: Bindungsverhältnisse in der skandinavischen Literatur und affektive Rezeptionsstränge in der Literaturwissenschaft

 

Abstract:

Obsessives Denken, Fühlen und Handeln ziehen sich wie ein roter Faden (nicht nur) durch die skandinavische Literaturgeschichte. Von der isländischen Kormáks saga aus dem 13. Jahrhundert, in welcher der Titelheld nicht von der ihn verschmähenden Steingerdr lassen kann, über die Ibsen’sche Hilde Wangel, die den Baumeister in Bygmester Solness (1892) grenzenlos überhöht, bis hin zu Thomas Espedals aktuellem Roman Elsken (2018), in der sich eine hyperfokussierte Auseinandersetzung mit Leben und Tod entfaltet. Je nach Entstehungs- und Rezeptionskontext changieren die Darstellungen und Wahrnehmungen zwischen romantisierend und pathologisierend. Während Konzepte wie Attachment/Bindung, Leidenschaft, Begeisterung oder Fokus, die artverwandte Phänomene beschreiben, sich als weitgehend sanktionierte emotionale Zugänge etabliert haben, ist der Obsessionsbegriff kulturhistorisch negativ besetzt. Das liegt nicht zuletzt an seiner Einbindung in die Pathogenese der Psychologie. Nichtsdestotrotz – oder vielleicht gerade deshalb – möchte ich auch die literaturwissenschaftlichen Dimensionen dieses Begriffs in meinem Projekt neu beleuchten.

Dabei geht es mir nicht nur um obsessive Tendenzen in den literarischen Texten selbst, sondern auch um deren Einbettung in verschiedene Kanonisierungssysteme, die selbst als teilweise ‚obsessiv organisiert‘ bezeichnet werden können, und nicht zuletzt um eine Auseinandersetzung mit meinem eigenen Verhältnis zu den jeweiligen Texten. Wie sind sie kulturell kontextualisiert? Welche Bindungsparameter lassen sich in diesem Gefüge ausmachen? Wie beeinflusst meine persönliche Anbindung an die jeweiligen Texte die spezifische Art meiner Analysen? Im Sinne postkritischer Überlegungen sollen diese Leitfragen auch zu dienen, das Paradigma der Distanz zwischen Forschender und Forschungsgegenstand zu reflektieren.